Corona-Talk mit Tcuni: „Mir wurde bewusst, dass der Handel Quartiermeister den Arsch retten würde“

Autor annika.bruemmer

Erstellt am 21. Juli 2020 05:07


Heute sprechen wir mit Tcuni über Corona und darüber, was die Pandemie mit ihr persönlich, aber auch beruflich gemacht hat. Tcuni ist bei uns für den Vertrieb im Einzelhandel Berlin zuständig und seit 1,5 Jahren bei Quartiermeister am Start. Dank ihr findet ihr unser Bier in mittlerweile in vielen Berliner EDEKA- und REWE-Filialen. Das finden wir richtig nice, denn wo sonst hätten wir in Zeiten des Lockdowns unser Lieblings-Bier besorgen sollen? Tcuni, du rockst!

Was ging dir durch den Kopf, als sich im Februar/März die Corona-Situation zunehmend zugespitzt hat und wir am 14. März schlussendlich vor dem Lockdown standen?

Ich war total baff. Ich hatte Ohnmachts-Gefühle. Und als der Lockdown kam, war das wie der angekündigte Sturm, der von Italien nach Deutschland zieht. Ich hatte zu der Zeit viel Kontakt zu meinem ehemaligen Mitbewohner, der in Italien lebt. Durch ihn wusste ich genau, was in Italien los ist und was auf uns zukommen würde.

Ich hatte aber schon vorher mulmige Gefühle, bevor alles zugemacht hatte. Mir war da einfach schon eine ganze Zeit sehr unwohl. Ich habe diese Gefühle und Ängste auch im Team besprochen. Und als es dann im März richtig heftig wurde, konnte ich nichts anderes tun, als diese Tatsache zu akzeptieren. Es waren ja alle Menschen auf einmal davon betroffen. Ich erinnere mich, wie unwohl ich mich anfangs im Supermarkt gefühlt habe als die Hamsterkäufe losgingen. Der intensive Austausch im Team in unseres wöchentlichen, digitalen Meisterrunden hat mir allerdings sehr geholfen, meine Gefühle zu ordnen. Auch die Gespräche mit meinem eigenen Netzwerk.

Und in Bezug auf Quartiermeister?

Ich hatte große Angst um Quartiermeister. Wir hatten so ein erfolgreiches letztes Jahr und sind so gut in 2020 gestartet und auf einmal drohte dieses Kartenhaus zusammenzufallen. Ich habe es förmlich vor mir einstürzen sehen.  Ich hatte Angst, dass wir keine sozialen Projekte mehr fördern können, dass Mitarbeiter*innen entlassen werden müssen und dass auch mein Job auf der Kippe steht.

Dadurch, dass wir kein Industriebier, sondern ein alternatives, gutes Produkt sind und nicht so eine große Drehung haben, hatte ich dann Schiss, dass die Getränkeverantwortlichen im Handel Prioritäten setzen würden, was Getränke angeht. Ich habe stark verfolgt, was in den einzelnen Märkten so los war. Enorm nachgefragt waren Toilettenpapier, Mehl, Milch, Getreide und Wasser. Bier so gut wie gar nicht. Das hat mich irgendwie beruhigt. Denn es ging nicht um Quartiermeister – um unser Bier – sondern um das Bier-Segment im Allgemeinen. Die Endverbraucher*innen haben in den ersten Wochen einfach Prioritäten gesetzt, was ihre Einkäufe anging.

Ich erinnere mich, dass ich große Probleme hatte, unsere Kund*innen zu erreichen. Die erste Woche nach dem Lockdown war miserabel. Da ging niemand ans Telefon und wenn, dann wurde häufig einfach aufgelegt oder die Leute waren sehr angespannt. Dann habe ich für mich als Maßnahme festgelegt, unsere Kund*innen erst einmal in Ruhe zu lassen und abzuwarten bis die Sonne wieder scheint.

Der Handel macht eher kleineren Teil von Quartiermeisters Umsätzen. Nun war der Verkauf im Einzelhandel auf einmal die einzige Einnahme-Quelle neben dem Online-Geschäft. Wie hast du dich als Handels-Vertrieblerin mit dieser Tatsache gefühlt?

Tja, mir wurde auf einmal bewusst, dass der Handel Quartiermeister den Arsch retten würde. Nach dem anfänglichen Lähmungs-Gefühl bekam ich dann den Eindruck, dass der Handel doch ganz gut läuft. Die Leute gingen wieder ganz normal einkaufen. Sie hatten sich schnell daran gewöhnt, mit Maske einzukaufen. Für mich persönlich war es allerdings eine extreme Überforderung, die Märkte wieder zu besuchen. Anfangs wurde ja eine Außendienstsperre verhängt: Für alle Außendienstler*innen gab es von allen Supermärkten ein offizielles Schreiben, dass auf Grund von Corona, keine Außendienstbesuche gestattet sind. Als die Sperre aufgehoben wurde, hat mich Peter sehr unterstützt und meinen Zwiespalt gesehen: Auf der einen Seite möchte ich Quartiermeister verkaufen, auf der anderen Seite riskiere ich meine Gesundheit. Mir wurde jedoch zu jedem Zeitpunkt das Gefühl vom gesamten Team vermittelt: Mach einfach so, wie du denkst. Und ich wurde nach jedem Markt-Besuch mutiger.

Als Corona dann aber immer weiter ging, habe ich dann irgendwann trotzdem großen Druck gespürt. Nicht von Quartiermeister oder meinen Kolleg*innen, sondern von mir selbst. Auf einmal dachte ich: Alles hängt jetzt von mir ab. Der ganze Fokus lag auf einmal auf dem Handel, obwohl er eigentlich eher eine schwache Umsatzbeteiligung am Gesamtumsatz ausmacht. Gleichzeitig hatte ich wegen der Kurzarbeit kaum Zeit. Dann dachte ich mir: Corona ist nicht meine Verantwortung. Ich habe einfach keinen Einfluss darauf. Quartiermeister, und alle anderen Unternehmen, an denen Arbeitsplätze hängen, haben auch keinen Einfluss auf die Entwicklung. Das war ein Jonglieren zwischen Gasgeben und Zurückziehen. In der wenigen Zeit, die mir durch die reduzierten Arbeitsstunden blieben, musste ich klar Prioritäten setzen. Gleichzeitig empfand ich es als sehr belastend, zu wissen, dass meinen Kollegen aus dem Gastro-Vertrieb die Hände gebunden sind. Die konnten gar nichts tun, außer abzuwarten. Da habe ich schon oft an meine Männer gedacht (lacht).

Mit der Zeit war ich dann richtig stolz auf mich. Ich habe gemerkt, dass ich mit meinen Händen arbeite, dass ich wirklich etwas für unsere Situation tun kann. Und der Handel ist als Absatzkanal tatsächlich stabil geblieben. Das hat nicht nur mit meiner Arbeit, sondern mit der Arbeit aller Beteiligten zu tun. Ein Lichtblick war, als der Berliner Senat angekündigt hat, dass die Gastro wieder öffnen kann.

Gibt es Dinge, die du in deinem Job in den letzten Monaten anders gemacht hast?

Anfangs war ich zurückhaltender, weil die Situation so angespannt war. Gleichzeitig bin ich den Getränkeverantwortlichen aus den verschiedenen EDEKA und REWE-Filialen nähergekommen. Wir sind enger zusammengerückt. Wir haben viel telefoniert. Da hat mich auch Johanna aus dem Innendienst sehr unterstützt. Die Gespräche haben sich verändert. Wir haben in unseren Telefonaten viel mehr Privates besprochen, wie wir mit der Situation umgehen. Ich habe dann in diesen Gesprächen auch deutlich gemacht, dass wir als Quartiermeister darauf angewiesen sind, dass die Märkte unser Bier bestellen. Dass sie uns nicht vergessen dürfen. Ich habe häufig vom Stay Home Club berichtet, um das Verständnis zu schärfen, wie sehr wir in der Krise stecken durch die Gastro-Schließung. Alle waren erstaunt, dass Quartiermeister um die 80 % des Umsatzes durch die Gastronomie generiert.

Ich bin dann dazu übergegangen, eigene kleine Newsletter an die Märkte zu verschicken, in denen ich mich für die Unterstützung bedankt habe und ich habe klar gesagt, dass wir für unsere Kund*innen da sind. Außerdem habe ich meine „Kurzarbeit-Sprechzeiten“ durchgegeben.

Welche Learnings hast du für dich, Quartiermeister und deinen Job mitnehmen können?

Ich habe gemerkt, wie sehr es mir hilft, eine private und berufliche Struktur für mich aufzubauen und dass es sinnvoll ist, nicht zu sehr zu grübeln, sondern sich auf andere Dinge außerhalb des Jobs zu konzentrieren, wie z.B. auf das Thema Achtsamkeit. Ich habe meine Küche gestrichen, habe Dinge ausgemistet und es sogar endlich geschafft, meine letzten beiden Steuererklärungen zu machen.

Ich habe gelernt, dass die Verantwortung nicht bei mir liegt, weil ich, wie vorher beschrieben, keinen Einfluss auf die Situation habe. Man hat einfach nicht alles in der Hand. Und dass Ziele – und wir hatten viele Ziele, die wir jetzt korrigieren müssen – am Ende eine Utopie sind. Eine Richtung zu haben ist gut, aber das geht nicht auf Krampf. Das hat mein Bewusstsein verändert. Dass man mit Druck und Krampf nicht durchkommt im Leben und im Job.

Was glaubst du, was Quartiermeister aus der Krise gelernt hat?

Wir haben gelernt, flexibel zu sein und innerhalb kürzester Zeit zu reagieren. Wir sind im Team enger zusammengerückt. Und wir haben gesehen, dass wir viel stärker und resilienter sind als angenommen. Und wir sehen auch, dass nicht alles in unserer Verantwortung liegt und wir auch nicht alles beeinflussen können. Gelassenheit ist ein wichtiges Learning, was Quartiermeister aus den letzten Monaten zieht.

Gibt es etwas, was du noch loswerden möchtest?

In erster Linie möchte ich meinen Kolleg*innen danken für das entgegengebrachte Vertrauen und die Rückendeckung. Wenn ich irgendwas gebraucht habe, waren wirklich alle für mich da und haben mich unterstützt.

Dann möchte ich mich bei den Getränkeverantwortlichen und den Marktleitern der EDEKA- und REWE-Filialen bedanken, die uns im Sortiment haben. Die Plätze, die wir im Handel bekommen, laufen alle auf freiwilliger Basis. Wir haben keine Verträge, die uns Platzierungen zusichern. Ich finde es toll, dass viele Märkte kleine Firmen wie uns in dieser Zeit so gut unterstützen.

Und zu guter Letzt möchte ich mich bei allen Quartiermeister-Trinker*innen bedanken, denn die Rotation im Markt kriegen wir nur durch ihre Kaufentscheidungen hin. Wenn ich im Markt bin und unsere Flaschen ins Regal räume, geht mir jedes Mal das Herz auf, wenn jemand zu unserem Bier greift. Denn wenn niemand Quartiermeister kauft, dann bestellt auch keine Filiale nach. Das ist ein Kreislauf. Der Kreislauf geht noch weiter. Wenn weniger gekauft wird, wird weniger produziert und abgefüllt. Das wäre dann sehr schlecht für unsere Partnerbrauereien. Die Endverbraucher*innen sind die Held*innen, die unsere Arbeit möglich machen. Sie sind diejenigen, die unsere Unternehmens-DNA – die Projektförderung – ermöglichen. Also Leute: Tausend Dank, dass ihr Quartiermeister trinkt!

Und Leute: Falls es tatsächlich zu einer zweiten Welle kommen sollte, hoffe ich sehr, dass sich alle an die AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmasken) halten werden. Zum Wohle aller halt.

 


Archiv »