Das neue Wir beleben

Autor lisa.wiedemuth

Erstellt am 31. August 2017 08:58


Wer sich erinnert: Die Emser Straße gehörte vor einigen Jahren noch zu den weniger gediegenen Ecken in Neukölln. Mittlerweile weichen die unzähligen Spielekasinos den neuen Szenekneipen. Der Platz vor der Feuerwache mit dem Kneipenurgestein Laika ist längst nicht mehr der einzige Treffpunk am Abend. Während sich die einen über das wachsende Angebot freuen und die anderen von Verdrängung sprechen, ist die Bürgerstiftung Neukölln darum bemüht, in dem Wandel für alle einen Mehrwert zu schaffen. Wir haben die Stiftung besucht und mit der Geschäftsführerin Idil Efe über die Arbeit im Kiez gesprochen.

„Neukölln ist Avantgarde!“ Idil lächelt, der Tonfall lässt vermuten, dass dieser Satz nicht das erste Mal über ihre Lippen kommt. Dabei spricht sie weniger den Lifestyle der Zugezogenen an, als den erleb- und sichtbaren Meltingpottcharakter. „Es gilt nicht die Differenzen und Konflikte in der Nachbarschaft abzustreiten, oder kleinzureden. Wichtig ist es nur, einen Raum zu schaffen, in dem diese Differenzen ausgesprochen werden können und gleichzeitig Gemeinsamkeiten & Potenziale entdeckt werden!“. Genau diese Aufgabe hat sich die Bürgerstiftung Neukölln auf die Fahne gesetzt. Schon seit 12 Jahren agiert sie als Plattform und Unterstützer für engagierte Menschen im Kiez. Dabei setzt sie eigene Projekte um, fördert aber auch mit dem n+-Förderfond, sowie dem Bürgerpreis externe Initiativen aus Neukölln mit kleineren Summen.

 „In der Praxis heißt das konkret: Wir leisten Bildungs-, Eltern- und Netzwerkarbeit!“. Ca. 100 Menschen verschiedenster Nationalität, Herkunft und Orientierung sind als Unterstützer*innen in der Stiftung aktiv, 7 Menschen werden ihr beschäftigt. Ein besonderer Fokus in der eigenen Projektarbeit liegt auf einer Eins-zu-Eins-Patenschaftsvermittlung. Neuköllner Talente (Link) vermittelt Pat*innen an Kinder im Grundschulalter. Sie helfen ihnen fernab von Schule und Elternhaus eigene Begabungen und Stärken zu entdecken. Im nächsten Jahr feiert das Projekt Jubiläum. Schon jetzt hat es seit 2008 über 300 Patenschaften vermittelt. Die Erfahrung einer Patenschaft bereichert dabei nicht nur das Leben der Kinder, sondern auch das ihrer Pat*innen. Es entstehen langjährige Freundschaften zwischen Menschen, die sich wohl so im Kiez nicht getroffen hätten.

Ähnliche Erfolge feiert das wohl älteste Patenschaftsprojekt Berlins: Das Mentorenprojekt Neukölln. Im Gegensatz zu den Neuköllner Talenten werden hier seit 2006 Jugendliche vermittelt, die beim bedeutenden Übergang vom Schul- ins Berufsleben Unterstützung eines erwachsenen Mentor*in erfahren. Ob Hausaufgabenhilfe, oder gemeinsame Ausflüge: Der größte Erfolg liegt wohl auf der persönlichen Begegnung. Ursula Rettinger, Leiterin des Projekts, hätte sich in ihrer Jugendzeit gern selbst so einen Menschen an ihrer Seite gewünscht: „Teenager haben oftmals das Gefühl, von Erwachsenen nicht verstanden oder ernst genommen zu werden. Das Mentorenprojekt zeigt ihnen: Es gibt auch Erwachsene, die mit dir auf Augenhöhe reden, mit denen du angstfrei über deine Sorgen und Wünsche sprechen kannst!“.

Beim N+-Chor oder den N+-Werkstätten können Menschen aus der Nachbarschaft aufeinandertreffen. Ebenfalls wird das Wissensformat „Fokus Neukölln“ für dieses Jahr wieder geplant, in dem wissenschaftliche Vorträge, für alle frei zugänglich, verständlich und auf den Punkt gebracht, aufbereitet werden. „Die reine Chancengleichheit ist eine Utopie, aber wir möchten uns ihr annähern. Wir möchten das neue Wir beleben und es als Chance begreifen!“, Idil ist Überzeugungstäterin, auch wenn die Bürgerstiftungsarbeit in heutigen Zeiten nicht immer die einfachste ist. „Der weit verbreitete Stiftungsmythos, nach dem wir als Institution im Geld schwimmen würden, ist weit hergeholt. Wir kämpfen stets um die Finanzierung unserer Projekte!“ Woher nimmt die Geschäftsführerin dabei ihre persönliche Motivation? „Es ist unheimlich bereichernd, den Niederschlag der eigenen Arbeit direkt in den Projekten und Begegnungen zu erfahren. Wir gestalten die Gesellschaft hier im Kleinen.“

Der Umgang mit Diversität wird hier professionell betrieben, dazu gehören auch Seminare und Fortbildungsangebote für die Ehrenamtlichen.

Seit April ist die Stiftung Kooperationspartner mit dem Humboldtforum „Berlin und die Welt“ Ausstellung. Sie berät und gestaltet in kuratorischer Arbeit, in der Person von Idil Efe die Ausstellung und hat sich zum Ziel gemacht, Neukölln und Neuköllnern eine Visibilität in Mitte zu verschaffen.

Die Arbeit der Bürgerstiftung lässt sich in vielen Bereichen unterstützen. Finanziell können alle Privatpersonen oder Unternehmen mit einer Mindestsumme von 500€ zustiften, einmalig oder eine Dauerspende einrichten. Wem diese Summen zu hoch sind, kann Sachspenden auf dem Trödelmarkt im Handwerkerhof neben der Villa Rixdorf vorbeibringen. Jeden Sonntag wird dort für die Bürgerstiftung Neukölln getrödelt, alle Erlöse kommen den eigenen Projekten zugute.

Aber auch Zeit lässt sich in die Bürgerstiftung Neukölln investieren. Wer von dem bunten Angebot des Bezirks fleißig profitiert, hat hier die Möglichkeit dem Kiez etwas zurück zu geben. Mit eigenen Projektideen und Vorschlägen zur Verbesserung einzelner Lebensbereiche im Kiez, oder als Pat*in für ein Neuköllner Kiddie. Ich selbst habe mir eine Patenschaft fest nach dem Urlaub vorgenommen. 


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